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#Schreiberfahrungen – Schreiben bedeutet zu verarbeiten

Zu schreiben hilft der Autorin Jennifer Olschewski dabei ihre traumatische Vergangenheit zu verarbeiten und das Schweigen zu brechen.



Schreib darüber - ein Interview #4 mit Jennifer Olschewski über ihre Schreiberfahrungen



Drei Worte, die dich am Besten beschreiben:

Gefühlvoll. Echt. Selbstkritisch.


Schreiben bedeutet für mich ...

… Seelenfreiheit, Zufriedenheit, Perspektivwechsel, innerer Wachstum, etwas bewegen, Horizont erweitern, mit Worten spielen, kreativ sein, Fortschritt, bewusst leben, das Leben wahrnehmen, Phantasie ausleben, Ideen formen, Wissen aneignen, forschen, recherchieren abtauchen, Menschen erreichen, mitteilen, anregen, motivieren, aufklären, Menschen zusammenführen, …


Wie bist du zum Schreiben gekommen?

Das Schreiben war das Dringendste, was ich können wollte, weil ich schon im Kindergartenalter das Gefühl hatte, es könnte meine einzige Alternative sein, mich mitzuteilen. Geschriebenen Worten wird zugehört. Im Übrigen war ich fasziniert von Büchern. Kein Wunder, dass ich in der Grundschule begann die ersten kleinen Bücher zu kreieren, deren Geschichten zugegebenermaßen selten ein Ende fanden.

Ein Interview für die Schülerzeitung mit Gudrun Pausewang animierte mich, meine Phantasien täglich niederzuschreiben. Ein Traum war geboren; ich wollte Schriftstellerin werden. Irgendwann wechselte ich von Geschichten auf der Schreibmaschine zu Gedichten auf Schmierzetteln. Das Gedichteschreiben behielt ich bis zum 23. Lebensjahr bei. Nach acht langen Pausejahren fand ich endlich zurück in die Welt der Worte, sah eine neue Bestimmung und schrieb das erste vollständige Werk; „Sonnenblumen“.


Mit was für Problemen kämpfst du/hast du gekämpft und (wie) hilft dir Schreiben dabei?

Die ersten 25 Jahre meines Lebens waren geprägt durch viele traumatische Ereignisse. Ich erlebte sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung, Stalking, Mobbing, Ausgrenzung, verlor überdies zwei der wichtigsten Bezugspersonen an den Tod.

Die Einsamkeit sowie die Tatsache, keine Zuhörer zu haben, ließen mich nicht nur in die eigene Welt fliehen, sondern auch in die Welt der Worte. Wenn ich las, lebte ich ein heiles Dasein. Schrieb ich, so war es, als vertraute ich jemandem jegliches Leid an. Notizbücher hörten mir geduldig zu. Damals suchte ich hauptsächlich ein Ventil, um den Druck nicht weiterhin über die Klinge entweichen zu lassen. Während ich diese finstere Vergangenheit mit der Gegenwart paarte, sie lesbar machte, spürte ich, dass es weniger darum geht den Druck herauszulassen oder mich mitzuteilen, das Schweigen zu brechen. Das ständige Überarbeiten, das immer wieder Lesen der eigenen Geschichte nahm mir den Schrecken.

Stell dir vor, du schaust einen Horrorfilm. Beim ersten Mal erlebst du viele Schreckmomente. Je öfter du den Film siehst, desto seltener erschreckst du dich. Unbemerkt verarbeitete ich. Setzte mich aus einer Distanz heraus mit allen Gedanken obendrein verdrängten Gefühlen auseinander. Ich war permanent im Austausch mit mir selbst, und zwar nicht auf die gewöhnliche Art, wie Selbstgespräche oder eigene Interpretationen. Durch den fiktiven Anteil in „Sonnenblumen“ zum Beispiel, betrachtete ich, mich, nicht zuletzt meine gesamte Existenz, aus einer anderen Perspektive, denn aus dem Nichts tauchten Fragen auf, baten um Antworten, beleuchteten mein Leben aus sämtlichen Blickwinkeln. Wie sehen mich Fremde? Warum würden sie mich mögen? Auch wenn es zu Anfang unangenehm war, entdeckte ich durchaus Sympathisches an mir. Je mehr ich die guten Seiten hinterfragte, desto sicherer wurde ich, dass ich ein wertvoller und wunderbarer Mensch bin.

Ich beschritt den Weg der Selbstliebe und damit den Weg der Heilung. Fand heraus, was ich will, was ich brauche, wer ich bin. Dazu hielt ich mir durch das Schreiben stets meine Fortschritte vor Augen, wiederholte gewünschte Glaubenssätze, sodass sie sich festigten. Ich schöpfte Motivation, weiterzukämpfen. Bloß, dass ich von da an auf der richtigen Seite kämpfte. Ich wollte mehr. Mehr vom Leben. All das war nur möglich, weil ich für mich schrieb, ohne dass mir jemand hineinredete, mir weismachen wollte, wer ich bin. Ohne dass mich jemand mit seiner Meinung über mich vergiftete. Niemand übertönte meine Worte mit den seinigen. Demzufolge entwickelte ich ein Selbstbild aus meiner eigenen Wahrnehmung, lernte sogar, sie höher zu setzen als Fremdwahrnehmungen. Meine Social Media-Beiträge machen mir immer wieder bewusst, an welchem Punkt im Leben ich stehe, womit sich meine Gedanken befassen, welche Gefühle in mir aufkeimen. Somit bleibe ich bei mir und habe die Möglichkeit, sofort zu reagieren. Feedback vom Außen spielt für mich zwar nicht die größte Rolle, dennoch ist es eine zusätzliche Bekräftigung. Unvorstellbares wurde augenscheinlich: Es gibt Menschen, die mich schätzen. Außerdem stellt mich die Erfahrung zufrieden, etwas bewirken zu können.


Wie nutzt du das Schreiben am Liebsten?/Was schreibst du?

Am Liebsten schreibe ich einfach drauf los, lasse den Gedanken freien Lauf. Zurzeit teile ich, nebst der Überarbeitung des zweiten Bandes, mit meinen Lesern/Abonnenten unter anderem aktuelle Fortschritte, Erkenntnisse sowie Gefühle. Durch meine Beiträge auf Facebook und Instagram begleite ich Betroffene, Angehörige wie auch Interessenten. Ich bin sehr überrascht, schon viele Menschen erreicht zu haben. Ebenso freue ich mich darüber, dass sich einige Betroffene in meinen Texten wiederfinden, aus diesen sogar neuen Mut, Zuversicht sowie Kraft schöpfen konnten. Nebenbei fiebere ich dem Tag entgegen, an dem ich die Überarbeitungen hinsichtlich der autobiographischen Reihe abgeschlossen habe, damit ich frei bin, neue Wege in der Welt der Worte zu erforschen, all meine Schmierzettelgedanken zu Geschichten wachsen zu lassen.


Was ist das Schwierigste beim Schreiben/im kreativen Prozess für dich?

Selbstzweifel. Besser gesagt das Wechselspiel zwischen Selbstzweifeln und innerer Zufriedenheit. Manchmal schaue ich noch viel zu oft auf die Haltung anderer. Nehme mir jede aufgeschnappte Expertenmeinung zu Herzen, überprüfe meine Werke, bin anschließend fest davon überzeugt, alles was ich schreibe ist der größte Scheiß. Dann wiederum denke ich daran, was ich mit meinen Werken erreichen will, wie mich das Schreiben erfüllt, und bin wieder zufrieden. Zu wissen, nicht perfekt zu sein ist einfach, es jedoch zu akzeptieren ist ein langandauernder Prozess.

Naja, zusätzlich natürlich den Anforderungen des Lebens gerecht zu werden. Ich habe einen Vollzeitjob, Verpflichtungen und wie das Leben halt so spielt, passieren immer wieder Dinge, die Zeit rauben, mich aus meiner Kreativität reißen.


Was ist das Schönste/Bereichernste beim Schreiben/im kreativen Prozess für dich?

Seit ich denken kann, lebe ich mit Angst. Vor allem die Angst vor Neuem hemmt mich. Die wiederum stammt aus der Versagensangst. Also bewegte ich mich überwiegend innerhalb meiner Komfortzonen. Ein Grund, weshalb ich die Schreiberei nie ernsthaft verfolgte. Erst als ich mich in der Entstehung von „Sonnenblumen“ verlor, fiel mir auf, dass ich die Ängste während des Schreibens vergesse. Nach der Fertigstellung musste das Werk natürlich überarbeitet werden. Prompt überschüttete mich der innere Miesmacher mit Bedenken. Jedoch hatte ich es bereits getan; ich hatte die Komfortzone verlassen. Wieso also jetzt aufgeben?

Das Schreiben hilft mir, Schritt für Schritt Grenzen auszubauen, meine Ängste zu vergessen, gleichzeitig zu beruhigen. Ängste versiegen, Mut keimt.

Es ist faszinierend, wie aus Gedankenfetzen Geschichten wachsen. Genauso beflügelnd ist es, neue Welten zu entdecken, mit Worten zu spielen, in verschiedene Seelen einzutauchen, zu sehen, wie ich mich entwickle, was ich aus mir herausholen kann. Ich lerne nicht nur Dinge, von denen ich glaubte, ich sei zu dumm dafür, sondern lerne auch mich immer wieder aufs Neue kennen. Es ist wunderbar zu spüren, wie meine Welt heller wird, meine Gedanken klarer, meine Gefühle sichtbarer.

Auch die Menschen, die ich durch das Schreiben kennenlerne bereichern mein Leben. Das Schönste aber ist, dass ich Menschen zusammenführen und ihnen eine Plattform bieten kann, sich auszutauschen und mitzuteilen.


Gibt es Hobbys und Dinge, die du tust, wenn du nicht schreibst?

Ich tanze Salsa, schaue Fußball sowie türkische Netflixserien/Filme, lese viel, treffe mich mit Freunden und genieße jeden Moment, die guten wie die schlechten Momente. Allerdings trage ich stets eine Möglichkeit bei mir, plötzliche Gedankenströme niederzuschreiben.


Was treibt dich an?

Das Wissen, die Welt bereichern sowie ein kleines Stück heller machen zu können.
Das Bewusstsein, dass es mehr im Leben gibt, als wir sehen können.
Der Glaube an die guten Absichten des Universums und dass ich ein Teil dessen bin.


Gibt es etwas, dass du Anderen gerne mitgeben möchtest?

Entwickle deine eigenen Glaubenssätze, denn sie sind die Wahren. Beginne mit folgender Motivation: Die Welt braucht dich, denn du trägst dazu bei, dass sie Vielfältigkeit in sich trägt.

Es wird immer Menschen geben, die dich sehen und schätzen, jedoch liegt die Wichtigkeit in der Selbstliebe. Sei dir sicher, du bist es Wert, dich selbst zu lieben.

Du willst schreiben oder etwas Neues wagen, hast aber Angst zu versagen, andere oder sogar dich selbst zu enttäuschen? Du kannst niemanden enttäuschen, außer dich selbst, doch nicht mal dich kannst du enttäuschen, denn du bestimmst, was dich enttäuscht. (Eine Erkenntnis, die ich vor einiger Zeit gewann, mir auch immerfort ins Gedächtnis rufe.)



Über

 (c) Jennifer Olschewski ist Autorin


Mehr über sie & ihr Buch erfährst Du unter:


Hast Du Lust bekommen, ebenfalls über Deine Erfahrung mit dem Schreiben zu berichten?

Dann melde Dich gerne über das Kontaktformular bei mir oder schreib eine Mail an kontakt(at)seelenschreiberei.org.

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