Im Schreiben einen sicheren Hafen inmitten von Depressionen und Angstzuständen finden: Darüber berichtet Jenny im Schreiberfahrungen Interview.
#Schreiberfahrungen – Schreiben bedeutet den Kopf freizubekommen
Die Autorin Nadja Sturm kämpft mit einer Angststörung und gibt ihren Erlebnissen in Gedichten und Geschichten Raum.
Sie nutzt das Schreiben, um zu verarbeiten, aber auch, um sich selbst Mut zu machen.
Schreib darüber – ein Interview #18 mit Nadja Sturm über ihre Schreiberfahrungen
Drei Worte, die dich am besten beschreiben:
Geduldig, ehrgeizig, natürlich.
Schreiben bedeutet für mich …
Schreiben bedeutet für mich in erster Linie, den Kopf freizubekommen, aber auch Spaß am Erschaffen (und Teilen) von Welten, Gedanken und Figuren zu haben.
Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ich habe schon in der Grundschule sehr viel gelesen und zu Büchern eigene Szenarien im Kopf entwickelt. Meine Anfänge im Schreiben liegen im Verfassen von Fanfictions (also Geschichten zu bereits existierenden Welten / Charakteren).
Als ich Stephen King später entdeckte, wollte ich auch eigene Bücher schreiben.
Es hat mich tief beeindruckt, dass King aus einfachsten Verhältnissen stammte und sein erstes Manuskript von »Carrie*« zunächst im Müll landete, da er so an sich zweifelte, ehe er mit seinen Büchern weltberühmt wurde.
Da konnte ich mich gut hineinversetzen.
Auch eine Deutschlehrkraft hat mich dazu ermutigt, mit dem Schreiben weiterzumachen. Sie leitete eine Arbeitsgruppe für Kreatives Schreiben, an der ich teilnahm und meldete mich für einen Gedichtwettbewerb an, bei dem ich in meiner Altersklasse gewann.
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Mit welchen Problemen kämpfst du/hast du gekämpft und (wie) hilft dir Schreiben dabei?
Ich lebe mit einer Angststörung.
Das Schreiben hilft mir dabei, meine Angst besser zu verstehen und mir selbst immer wieder Mut zu machen.
Außerdem komme ich aus schwierigen Familienverhältnissen. Das Schreiben hilft mir dabei, diese zu verarbeiten.
Ich schreibe mir wortwörtlich Lasten von den Schultern.
Es macht den Kopf leerer und das Herz leichter, wenn man die Sorgen oder negativen Gedanken zu Papier bringt.
Wie nutzt du das Schreiben am liebsten? / Was schreibst du?
Ich schreibe momentan an meinem ersten Roman »Stummfilmwelten«. In diesem steckt viel von mir selbst und meinen eigenen Erfahrungen.
Es geht um Nora, eine Studentin, die in der Universität Panikattacken bekommt. Ihr wird eine Angststörung diagnostiziert und sie muss erkennen, dass sie ihre Angst nicht einfach aus dem Kopf werfen kann. Also geht sie auf eine Reise in ihre eigene Vergangenheit, um zu lernen, mit ihren Ängsten zu leben.
Daneben schreibe ich sehr viele Gedichte. Meistens geht es auch in ihnen um das Thema Angst oder um Kindheitstraumata.
Auf Instagram habe ich den Hashtag @schreibengegendieangst ins Leben gerufen. Dieser soll andere dazu ermutigen, über ihre Ängste zu schreiben und sie so sichtbar zu machen.
Ich habe mich lange allein mit meiner Angst gefühlt und Angststörungen als Tabuthema wahrgenommen, deshalb möchte ich der Stille eine Stimme geben.
Was ist das Schwierigste beim Schreiben / im kreativen Prozess für dich?
Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich so viele Gedanken und Ideen im Kopf, dass ich nichts davon zu Papier bringen kann, praktisch ein »Gedankenstau«.
Ich neige außerdem zum Perfektionismus und das steht mir auch beim Schreiben im Weg, da ich an manchen Tagen gegen das Gefühl ankämpfen muss, dass nichts von dem, was ich schreibe, »gut genug« ist.
Was ist das Schönste / Bereichernste beim Schreiben / im kreativen Prozess für dich?
Es hat mich schon immer fasziniert, wie aus einem einzelnen Gedanken eine ganze Welt entstehen kann.
Außerdem finde ich es spannend, wenn sich eine Geschichte »selbstständig« macht, man also von der eigenen Erzählung überrascht wird.
Auch finde ich es schön, dass wir durch das Schreiben eine Gemeinschaft erschaffen.
Es ist einfach toll, wenn man etwas schreibt und jemand anderes liest das und sagt: »So geht es mir auch!«.
Man fühlt sich so weniger allein.
Gibt es Hobbys und Dinge, die du tust, wenn du nicht schreibst?
Ich lese gern. Das Genre hängt von meiner Stimmung ab oder davon, was ich selbst gerade schreibe.
Momentan lese ich vor allem Romane über psychische Erkrankungen und Kindheitstraumata.
Außerdem bereite ich mich gerade auf meinen ersten Halbmarathon vor, der im April in London stattfindet, ich laufe also viel.
Das Laufen hilft mir auch mit meiner Angststörung, da ich der Angst, wenn sie mal wieder versucht, mir einzureden, dass ich eine schwere Krankheit haben könnte, zeigen kann, zu welchen Leistungen mein Körper fähig ist.
Im Oktober steht dann auch mein erster Marathon in Dresden an.
Was treibt dich an?
Es gibt viel, was mich antreibt.
Zum Beispiel der Wunsch, jeden Moment bewusst zu leben, denn das Leben passiert in der Gegenwart, nicht in der Zukunft.
Außerdem treiben mich meine verschiedenen Ziele an: Ich möchte eine Familie gründen, mein Buch veröffentlichen und den Halbmarathon (später Marathon) schaffen.
Mit meinem Hashtag und meinen Texten auf Instagram möchte ich zudem andere Menschen erreichen und einen »Safe Space« errichten, in dem alle ihre eigenen Erfahrungen mit Angst teilen können.
Einer meiner großen Wünsche ist es, zusammen mit vielen anderen Autoren in naher Zukunft eine Anthologie zum Thema Angst zu publizieren.
Gibt es etwas, dass du anderen gern mitgeben möchtest?
Ich würde gern einige Gedanken zur Angst teilen: Angst ist nicht unser Feind, auch wenn es oft so scheint. Sie ist ein Teil von uns, der versucht, uns vor Gefahren zu beschützen.
Die Angst kann man nicht einfach aus dem Kopf schmeißen, sondern man muss lernen, mit ihr zu leben.
Mein persönliches Lieblingszitat ist: »Angst entsteht im Kopf, Mut auch.«
Es mag sich oft so anfühlen, als würde die Angst uns im Weg stehen und uns zurückhalten, doch wir können nur vorankommen, wenn wir unsere Ängste anerkennen und lernen, mit ihnen zu leben.
Das ist harte Arbeit und in jedem Fortschritt gibt es Rückschritte.
Aber es lohnt sich.
Bezüglich des Schreibens möchte ich folgendes sagen: Habt keine Angst vor dem weißen Blatt. Gleichzeitig: Versucht nicht, perfekt zu sein.
Der erste Entwurf muss bloß existieren, denn nur etwas, dass auf dem Blatt steht, kann überarbeitet und verbessert werden.
Meine Lieblingsmethode, wenn ich mal nicht weiterkomme: Ich stelle mir einen Counter auf fünf Minuten und schreibe einfach alles auf, was mir in den Sinn kommt, egal was es ist.
Irgendetwas wird immer daraus.
Und zu guter Letzt: Vergleich dich nicht mit anderen.
Das bringt dich nicht weiter, da wir alle Individuen mit verschiedenen Lebensgeschichten, Erfahrungen, Hintergründen und Umwelten sind.
Was für andere gilt, gilt nicht für dich – und umgekehrt.
Gehe deinen eigenen Weg!
Du hast Lust bekommen, ebenfalls über deine Schreiberfahrungen zu berichten?
Super, dann melde dich gerne über das Kontaktformular bei mir oder schreib eine Mail an kontakt@seelenschreiberei.org.
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