Lass ein Kind aus deiner Vergangenheit wieder lebendig werden – mit diesem Schreibimpuls.
Die heilsame Kraft von Briefen, die wir niemals abschicken
Ich habe schon immer gerne Briefe geschrieben. Ich schrieb sie, um unerwiderte Gefühle offenzulegen, erlebten Schmerz auszudrücken oder meiner Wut ein Ventil zu schenken.
Ich schrieb sie, um meine Gedanken loszulassen und irgendwie auch, um meine eigene Stimme zu finden.
In diesen Briefen richtete ich die Worte direkt an jene Menschen, die mir Leid zugefügt, mich gedemütigt oder verlassen hatten.
Sie zu schreiben gab mir ein Gegengewicht zu all dem Schmerz, der drohte, mich Stück für Stück zu vergiften.
Lange bevor ich die Methode der sogenannten Unsent Letters überhaupt kannte, füllten also bereits unzählige unversandte Briefe die Seiten meines Tagesbuch.
Und damit bin ich nicht alleine.
Die heilsame Kraft von Briefen, die wir niemals abschicken
Jede Menge Menschen nutzen die heilsame Kraft des Briefeschreibens. Sie schreiben an Menschen, die nicht mehr Teil ihres Lebens sind, an verflossene Liebschaften, unerreichbare Idole, grausame Arbeitgeber und sich selbst.
Denn Briefe zu schreiben, die wir niemals abschicken, ist einer der besten Wege, um mit den Tiefen unserer eigenen Gefühlswelt in Kontakt zu kommen und zeitgleich ein Ventil für Gedanken, Erlebnisse und all die Unwegsamkeiten des Lebens zu finden.
Während wir in Tagebüchern und beim Journaling zwar ebenso über schwere Momente und herausfordernde Situationen schreiben, richten wir unsere Worte dort nur äußerst selten direkt an jene, die unseren Schmerz oder unser Gefühlschaos auslösen.
Doch in einem Brief tun wir genau das. Wir wenden unsere Worte direkt an die Menschen, Situationen oder Gefühle, die uns gerade beschäftigen oder belasten.
Damit geben uns diese Briefe eine Stimme.
Sie geben uns die Chance, unsere Meinung kundzutun und auszusprechen, was wir aussprechen müssen.
Sie sind ein Weg, unsere Meinung in einer sicheren, geschützten Umgebung zu verbalisieren und dabei die Tiefen unserer Gefühle zu offenbaren, ohne Angst haben zu müssen, kritisiert, verurteilt oder ausgelacht zu werden.
Unsent Letters – Briefe, die uns Selbsterkenntnis und Klarheit schenken
Alleine im letzten halben Jahr habe ich sechs Briefe geschrieben, die niemals jemand lesen wird.
Sie gingen an meine Mutter, meine Oma, meinen Bruder, meine ehemalige beste Freundin und zwei weitere Menschen, die nicht mehr Teil meines Lebens sind.
Ihnen all das zu schreiben, was ich zu sagen habe; all das anzusprechen, was ich schon viel zu lange in mir behalte; mich zu erklären; zu verabschieden und zu entschuldigen, tat gut.
Es hat mir Klarheit geschenkt. Ein tieferes Verständnis für mein inneres Erleben, meine Sehnsüchte, Wünsche und (ungestillten) Bedürfnisse.
In Briefform zu schreiben hilft uns dabei, uns selbst besser kennenzulernen.
Denn dort, auf dem Papier, kommen wir unwillkürlich mit unseren tiefsten Gedanken und rohsten Gefühlen in Kontakt.
Mit all dem, was wir in der Regel nicht nur vor anderen, sondern auch am allerliebsten vor uns selbst verbergen wollen.
Unsent Letters – die Journaling Methode voller Möglichkeiten
Das Tollste am Schreiben von Briefen, die du niemals abschickst, ist, dass du sie an jeden richten kannst, an die du sie richten möchtest.
Du kannst an Menschen schreiben, die nicht mehr Teil deines Lebens sind oder es sein können.
Du kannst an Freunde oder deinen Partner schreiben, an Organisationen, Institutionen oder die Regierung.
Du kannst an dich selbst, dein jüngeres oder zukünftiges Ich, einen Körperteil, ein einzelnes Gefühl oder ein unliebsames Symptom schreiben.
Oder an dein Idol, einen heimlichen Schwarm oder Gott.
Es gibt einfach niemanden, an den du nicht schreiben kannst.
Einen Brief schreiben – wie eigentlich?
Das Geheimnis eines Unsent Letters ist, dass du ihn mit dem Wissen schreibst, ihn niemals abzuschicken.
Denn sobald wir glauben, dass jemand anders unsere Zeilen lesen wird, beginnen wir, Sätze zu verdrehen, Worte wegzulassen und die Political Correctness vor unsere wahren Gedanken und Gefühle zu stellen.
Wir halten uns zurück – und genau das wollen wir nicht.
Denn alles, was wir nicht aussprechen, bleibt automatisch in uns. Und was in uns bleibt, gärt darinnen weiter und beeinflusst unser Denken, Fühlen und Erleben.
Ein solcher Brief schadet niemanden.
Im Gegenteil.
Schreib frei heraus, was du denkst, was du fühlst und wie es dir tatsächlich geht.
Zensier dich nicht selbst. Halt dich nicht zurück. Sei ehrlich.
Briefe tun niemanden weh. Sie schaden nicht. Alles, was sie tun, ist, dir ein Ventil zu schenken.
Und wenn du dich besser fühlst, vernichte den Brief einfach direkt nach dem Schreiben. Dann bekommt ihn sicher niemals jemand zu Gesicht.
Der rote Faden fehlt? Ideen, wie du deinen Brief beginnen kannst
Manchmal fällt es schwer, mit dem Schreiben zu beginnen. Wir haben so unglaublich viel in unserem Kopf und doch keine Ahnung, wo genau wir eigentlich anfangen sollen. Der rote Faden fehlt.
Wenn es dir so geht, ist das nicht schlimm, starte gerne mit einem der nachfolgenden Satzanfänge. Denn Satzanfänge sind ein effektiver Weg, mit dem Schreiben eines Briefes zu beginnen:
- Ich möchte, dass du weißt …
- Ich fürchte mich davor, dir zu erzählen …
- Wenn ich könnte, würde ich …
- Ich hasse …
- Wenn ich daran denke …
- Am meisten fehlt mir …
- Jedes Mal, wenn ich …
- Wenn du nur wüsstest ….
Und was, wenn ich meinen Brief doch abschicken will?
In erster Linie schreiben wir Unsent Letters für uns selbst, doch das heißt natürlich nicht, dass du sie niemanden zeigen oder sie niemals abschicken darfst. Wenn du das möchtest, ist das vollkommen okay.
Schreib deinen Brief, leg ihn zur Seite und schlaf eine Nacht drüber, ehe du ihn dir durchließt und entscheidest, ob du ihn so – oder in abgemilderter Form – abschicken möchtest.
Denn wenn du dich schon vor dem Schreiben entschließt, deinen Brief am Ende auf die Reise zu schicken, wird dich das mit großer Wahrscheinlichkeit hemmen, wirklich das zu schreiben, was du schreiben musst.
Und das wäre schade.
Ein kleiner Tipp am Ende – für alle Briefschreiber und Buchliebhaber
Wenn du dich dafür interessierst, wie die unversandten Briefe anderer aussehen und an wen Menschen sie schreiben, dann kann ich dir den Blog Dear My Blank von Emily Trunko empfehlen.
Denn dort sammelt die junge Amerikanerin die nicht verschickten Briefe unzähliger Menschen auf der ganzen Welt.
Im Jahre 2017 ist mit Ich wollte nur, das du noch weißt …* sogar eine bewegende Sammlung dieser Briefe als Buch erschienen.
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