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Junge Frau von hinten, berührt ihre Haare. Fiktionales Schreiben. Traumata.

Wie fiktionales Schreiben Trauma verwandeln kann

Es gibt Erlebnisse, über die man einfach nicht sprechen kann.

Nicht sofort.

Nicht laut.

Vielleicht auch nie.

Und manchmal ist unser Schweigen nicht bloß ein Schutz - sondern überlebenswichtig.

Das Problem ist nur: Alles, was wir nicht aussprechen, bleibt in uns.

Es zeigt sich.

In innerer Unruhe.

In diffusen Ängsten.

In Erschöpfung.

In einer Leere, die wir nicht greifen können.

Doch es gibt Wege, sich diesem Unaussprechlichen anzunähern.

Und einer dieser Wege ist das fiktionale Schreiben.

Es ist ein stiller, kraftvoller Weg, der nicht aufwühlt, sondern verbindet - und in diesem Artikel erzähle ich dir davon.

Fiktionales Schreiben als sicherer Raum

Wer wie ich traumatische Erfahrungen gemacht hat, kennt das Gefühl, sich innerlich abgeschnitten zu fühlen.

Vom eigenen Körper.

Von Gefühlen.

Von Worten.

Unser Nervensystem steht dauerhaft unter Stress, die Erinnerungen sind nur bruchstückhaft verfügbar oder sogar blockiert, und vieles scheint einfach … zu viel.

Wir spüren oft: Die Worte fehlen - und das nicht ohne Grund.

Denn alles, was zu nah an das Erlebte herankommt, fühlt sich gefährlich an.

Wahrscheinlich denkst du jetzt: Und warum dann ausgerechnet über Trauma schreiben?

Doch was auf den ersten Blick wie eine unvorstellbare Zumutung klingen mag, ist das genaue Gegenteil davon.

Denn fiktives Schreiben kann einen sicheren Raum öffnen. 

Es schafft Abstand, weil wir nicht unsere Geschichte erzählen müssen - sondern die einer erfundenen Figur.

Wir schreiben nicht über uns selbst, sondern durch unsere Charaktere hindurch.

Auf diese Weise entsteht ein Ort:

Für das Unausgesprochene.

Für die Emotionen, die bisher keinen Platz hatten.

Und für Erfahrungen, die uns gefangen halten.

Schreiben schafft einen Zugang

Ich habe es selbst erlebt - und beobachte es immer wieder bei anderen Schreibenden: Unsere Geschichten wissen oft mehr als wir.

Sie bringen Gefühle ans Licht, die tief vergraben waren.

Sie zeigen uns innere Konflikte, geheime Wünsche, tiefe Wunden.

Oft ganz beiläufig.

Unsere Protagonisten erleben Dinge, die sich vertraut anfühlen - manchmal schmerzhaft vertraut.

Und sie finden Wege, die uns selbst (noch) unmöglich erscheinen.

So war es auch bei meinem Debütroman*: Meine Protagonistin Olivia trug einen Schmerz in sich, den ich nur zu gut kannte. Doch anders als ich selbst ging sie durch ihn hindurch.

Sie kämpfte.

Sie fand ihre Stimme - lange bevor ich meine fand.

Sie schaffte das, weil ich ihr Eigenschaften zuschrieb, nach denen ich mich sehnte.

Und ihr Menschen an die Seite stellte, die ich mir wünschte.

Ihre Geschichte wurde so ein Teil meiner eigenen Heilung.

Denn mithilfe von ihr fand ich Worte für das, was ich selbst nicht aussprechen konnte.

Ich fand Klarheit.

Verbindung.

Mut.

Und bekam damit einen Teil von mir selbst zurück.


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Kontrolle zurückgewinnen - Wort für Wort

Ein zentrales Merkmal von Trauma ist der Verlust von Kontrolle.

Etwas geschieht, das wir nicht beeinflussen können.

Wir fühlen uns ohnmächtig, ausgeliefert, sprachlos.

Fiktionales Schreiben kann uns ein Stück dieser Kontrolle zurückgeben.

Denn beim Schreiben entscheiden wir, was passiert.

Wir erschaffen Welten.

Wir dürfen Szenen schreiben - umschreiben - löschen.

Wir geben unseren Figuren Gerechtigkeit, selbst dann, wenn wir sie im echten Leben nie erfahren haben.

Wir lassen sie laut werden.

Wahrheiten aussprechen.

Sich wehren.

Verwandeln.

Und mit jedem einzelnen Wort, dass wir ihnen geben, geben wir uns auch selbst ein Stück zurück.

Es geht nicht um das Wiedererleben - sondern ums Neuschreiben

Viele Menschen glauben, über Trauma zu schreiben bedeute automatisch, in die Vergangenheit zurückkehren zu müssen.

Doch das stimmt nicht.

Denn fiktives Schreiben erlaubt uns, mit dem zu arbeiten, was in uns wirkt - ohne es exakt nacherzählen zu müssen.

Während des Schreibens dürfen wir in Rollen schlüpfen.

Wir dürfen erschaffen, was uns fehlt: Halt, Mut, Sinn.

Wir dürfen unsere eigene Geschichte in eine andere Richtung lenken.

Nicht, um sie zu beschönigen oder auszulöschen, nein.

Sondern um sie zu verwandeln.

Denn was heilt, ist nicht nur das Benennen unseres Schmerzes - es ist das Wiederfinden von Hoffnung, Sinn und Verbindung.


Geschichten schreiben bedeutet, sich Schicht für Schicht  wiederzufinden.

Seelenschreiberei

Schreiben im eigenen Tempo

Das meiner Meinung nach Heilsamste am fiktiven Schreiben ist: Es verlangt nichts von uns.

Kein Zurückkehren in den Schmerz.

Kein Aushalten-Müssen.

Kein Zwang, irgendetwas beim Namen zu nennen.

Das heißt: Du entscheidest, was du zeigen willst - und was nicht.

Du darfst Umwege gehen.

Du darfst an der Oberfläche kratzen - oder tief eintauchen.

Du bestimmst die Entfernung zum Geschehen.

Das Tempo.

Den Ton.

Für mich ist fiktives Schreiben wie ein Raum voller Türen: Türen, die wir anlehnen, schließen oder auch einen Spalt weit öffnen können.

Ganz so, wie es sich eben richtig anfühlt.

Alles kann.

Nichts muss.

Geschichten berühren - und sie heilen

Fiktionales Schreiben heilt nicht nur uns, sondern kann auch andere berühren.

Weil Geschichten eben so viel mehr sind als bloße Fakten.

Fiktionale Texte transportieren Menschlichkeit.

Sie transportieren Erfahrung.

Und jede Menge Mut.

Sie erinnern uns und andere daran, dass es Wege gibt, an uns selbst zu wachsen.

Das heißt: Mit jeder Geschichte, die du schreibst, kannst du nicht nur dir selbst eine Stimme geben.

Sondern im besten Fall auch jemanden da draußen berühren und ihm genau das geben, was er oder sie gerade braucht: Ein bisschen Licht in der Dunkelheit.

Fiktionales Schreiben kann Trauma verwandeln, weil es ...

... einen geschützten Raum für Gefühle, Erinnerungen und innere Prozesse schafft.

... Distanz und Ausdruck gleichermaßen ermöglicht.

... unsere Selbstwirksamkeit stärkt und Kontrolle schenkt.

... uns erlaubt, alternative Narrative zu entwickeln.

... stabilisierend, klärend, strukturierend wirkt - im ganz eigenen Tempo.

... anderen Menschen Mut machen und Verbindungen schaffen kann.


Manchmal finden wir in einer erfundenen Geschichte nichts als die Wahrheit über uns selbst.

Seelenschreiberei

Fazit: Schreiben heilt - wenn wir es uns erlauben

Wenn du schreibst, dann reihst du nicht bloß Worte aneinander.

Du beginnst dich selbst zu hören.

Und manchmal ist genau das der Anfang von allem.

Schreiben muss nicht laut sein.

Nicht perfekt.

Oder dramatisch.

Es darf leise sein.

Wie ein Flüstern, dass sich langsam - Stück für Stück - zu uns selbst zurückführt.

Denn mit jedem Satz, den du schreibst, öffnest du ein kleines Fenster zu deinem Inneren.

Du schenkst dir selbst Raum.

Einen Raum, in dem alles sein darf:

Dein Schmerz.

Dein Schweigen.

Dein Mut.

Und das ist - wenn du mich fragst - das Kostbarste, was Schreiben uns schenken kann.

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Comments (1)

  1. Danke, Anina, für den tollen Artikel!
    Ja, ich kann es bestätigen – Schreiben hilft und wirkt manchmal Wunder. Das kenne ich aus eigener Erfahrung. Obwohl ich meistens mit autobiografischen Texten in meinem Blog unterwegs bin, habe ich auch eine halb fiktive Geschichte veröffentlicht – die Novelle „Andersrum“. Ich muss sagen, sie zu schreiben, war etwas ganz Besonderes. Wahrscheinlich gerade deswegen, weil es um meine eigene Kindheit ging, hatte ich das Gefühl, direkt mit meinem Herzen die Geschichte der kleinen Lisa zu erzählen. Deswegen konnte ich sie so gut verstehen – ihre Träume, ihre Wünsche, ihre Sehnsucht …
    Liebe Grüße
    Rosa

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